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(c) Pester Lloyd / 19 - 2013   POLITIK 06.05.2013

 

Die linken Wahlhelfer des Fidesz

Desolate Opposition in Ungarn kann Machtwechsel 2014 praktisch schon abschreiben

Die zaghaft begonnene Wahlkooperation zwischen der sozialdemokratischen MSZP, Ungarn größter Oppositionspartei sowie der noch jungen Mitte-Links-Wahlallianz Gemeinsam 2014 um Ex-Premier Gordon Bajnai, wird von internen Machtkämpfen und eifersüchtelnden Intrigen begleitet. Wenn die beiden Hauptkonktrahenten Orbáns so weitermachen, kann die desolate Opposition den Machtwechsel für 2014 schon sehr bald abschreiben, egal was sich die Regierung noch an Dreistigkeiten leistet.

Gänzlich unvorstellbar ist es den alteingesessenen Platzhirschen in der 2010 abgewählten Funktionärspartei MSZP, dass Bajnai zum gemeinsamen Spitzenkandidaten einer Mitte-Links-Allianz ausgerufen wird und die MSZP darin "nur" noch als Stimmenbeschaffer dienlich sein soll. Immerhin liefert die MSZP in den (sehr volatilen, im Trend aber eindeutigen) Umfragen derzeit noch das Doppelte bis Dreifache an Stimmen wie G2014. Doch die Umfragen sagen auch, dass Bajnai (im Foto rechts) weitaus beliebter als gemeinsamer Spitzenkandidat wäre, denn Mesterházy (im Foto links), sowohl beim gesamten wie beim linken Wahlvolk. Dies wäre eigentlich ein strategischer Vorteil, doch nur für Politiker, die in der Lage sind für ein gemeinsames Ziel eigene Interessen hintanzustellen.

Genüsslich stürzt sich die Regierungspresse auf den durchgesickerten Zickenkrieg in der Linken. So soll sich der G2014-Vize, Viktor Szigetvári, laut "Magyar Hírlap" darüber beklagt haben, dass trotz der (noch informellen) Kooperationsvereinbarung zwischen beiden Parteien, "viele in der MSZP Gemeinsam 2014 als Parasiten" sehen, die lediglich die Strukturen der MSZP nutzen wollen, um den eigenen Wahlerfolg zu begünstigen. Die Vorstandsetage der MSZP erkennt, dass die eigenen Anhänger Bajnai als den eigentlichen Herausforderer Orbáns ansehen und annehmen könnten, was der Partei reichlich Prozente in den Wahlen, damit Mandate, Geld und Einfluss kosten würde.

Wahlarithmetik und Ausgangslage

2010 genügten Fidesz-KDNP rund 37% der Stimmen aller Wahlberechtigten, ca. 54% der abgegebenen Stimmen für fast 70% der Mandate, also eine stabile Zwei-Drittel-Mehrheit. Das neue Wahlgesetz begünstigt die Tendenzen des Mehrheitswahlrechts weiter. Die Zahl der Abgeordneten wurde um 40% gesenkt, es ist nur mehr ein Wahlgang nötig, d.h. die relative Mehrheit genügt 2014 schon für die Erlangung des Direktmandates. Durch Neuziehung der Wahlkreise wurden mutmaßliche Hochburgen der Opposition durch geschickte Aufteilung (Gerrymandering) entschärft. Bei den ebenfalls mehrheitswahlrechtlich auf die Landeslisten der Parteien aufgeteilten Zweitstimmen stützt sich Fidesz zudem auf ein neues Wählerpotential, die rund 350.000 wahlberechtigten Auslandsungarn, die in den letzten drei Jahren mit der vereinfachten Staatsbürgerschaft ausgestattet wurden und eher den Nationalkonservativen als der Linken zuneigen.

Die enge Begrenzung der gesetzlich erlaubten Wahlwerbekosten von rund 3.300 EUR pro Direktkandidat auf der einen, der Einsatz von nichtparteilichen, z.B. kommunalen Strukturen (Bürgermeisterämter und "ihre" Lokalmedien) für die Regierungspartei auf der anderen Seite sowie die Einschränkung der Wahlwerbung auf den Fidesz-kontrollierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk (noch bei der EU anhängig) bilden weitere Vorteile für die Machthaber. Die Opposition hat - Einheit bei der Kandidatenaufstellung vorausgesetzt - nur dann eine echte Chance auf einen Sieg, wenn ihr die Mobilisierung eines größeren Anteils der Nichtwähler (mindestens 10 Prozentpunke) gelingt.

Hier rächt sich, nicht zum ersten Mal, dass man mit Attila Mesterházy 2010 bei der MSZP zwar einen jungen Parteichef einsetzte, nicht aber einen, der an grundlegenden Erneuerungen, nebst Vergangenheitsaufarbeitung und Sturz der alten Säulenheiligen interessiert war. Mesterházy war und ist eher einen aufstrebender Apparatschik, der zwar recht sympathisch, aber auch unverbindlich und nicht gerade staatsmännisch ankommt und als Hausmacht ausgerechnet die Personen hat, die alles, nur nicht zukunftsweisend sind. Er sollte der Partei ein neues Antlitz verpassen, ohne dass der Parteikörper verjüngt werden müsste. Manche sprechen von ihm als reine Marionette. Die Performance seiner Partei im Parlament, aber auch außerhalb, ist entsprechend: reine Negativkampagnen, statt schlüssiger Perspektiven. Doch was schief läuft im Lande, sehen die Leute auch ohne die MSZP, nur einen Weg heraus, den sehen sie nicht.

Auch bei Gemeinsam 2014 herrscht Diskussionbedarf. Die junge Partei, die sich aus vielen kleinen Grüppchen (u.a. die Bürgerrechtsbewegung Milla, die Gewerkschaftsinitiative Szolidaritás sowie die LMP-Abspaltung "Dialog für Ungarn" und den Think tank Bajnas "Heimat und Fortschritt" zusammensetzt) gerad erste noch formiert und auch Rücksicht auf Plattformen nehmen will und muss, die mit den "Sozis" alles andere als Freund sind, ist nach innen noch längst nicht so gefestigt, dass sie nach außen frei agieren könnte. Einige in der Bewegung halten die Kooperationsabsprachen Bajnais mit Mesterházy für voreilig, er habe sich vom "großen Bruder" dazu drängen lassen, dabei stehe noch nicht einmal das vollständige Wahlprogramm. Die Teile, die schon bekannt sind, zeichnen sich immerhin durch Pragmatik und Substanz aus, doch den entscheidenen Türöffner zu den Herzen der Stimmbürger stellen sie nicht dar. Dazu brauchte es vor allem Präsenz und Entschlossenheit. Die Menschen müssten sehen, dass ein Politikwechsel zu ihren Gunsten ausfiele und, dass er überhaupt möglich erscheint. Davon ist man heute weit entfernt, ja, erste Absetzbewegungen sind auch innerhalb der G2014 bereits erkennbar.

Bajnai hatte mit Mesterházy am 1. Mai verabredet, dass beide Parteien für alle Direktmandate nur je einen gemeinsamen Kandidaten antreten lassen, eine Grundbedingung, um überhaupt eine theoretische Chance auf einen Machtwechsel 2014 zu haben. Außerdem sollte, so als herrschte zwischen den linken Parteien eine Art Kalter Krieg, ein "heißer Draht" politische und mediale Kollisionen und Missverständnisse zwischen beiden Playern zukünftig verhindern. Während die MSZP nämlich regelmäßig ihren uneingeschränkten Anspruch auf Oppositionsführerschaft posaunt, belehren die Außerparlamentarischen von G2014 die MSZP gerne einmal mit ungebetenen Weisheiten, wie Politik zu machen sei. Beides ist für eine Zusammenarbeit kontraproduktiv. Doch das "rote Telefon" lege man nun erstmal auf Eis, so G2014, bis sich die MSZP klar darüber geworden ist, wie die Zusammenarbeit wirklich aussehen soll.

Für zusätzliche Verwirrung im Bajnai-Lager sorgte die Aussage, dass man sich auch eine Kooperation mit der kleinen Gyurcsány-Partei, DK, eher eine Politsekte, vorstellen könne. Wie man mit der Involvierung des für die meisten Ungarn völlig unwählbaren Bajnai-Vorgängers Gyurcsány, dem größten Spaltpilz der linken Opposition, Nicht-Linke- und Nichtwähler mobilisieren, Wahlen gewinnen oder gar Staat machen will, blieb Bajnai bei dieser "Idee" schuldig, die ihn in nicht wenigen Kreisen stark beschädigte.
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MSZP-Chef Mesterházy muss nun zeigen, ob er in der Lage ist, den Funktionären und Ex-Ministern klarzumachen, dass ein Alleingang oder das Beharren auf die Oppositionsführung jedes Planspiel für eine Zeit "nach Orbán" hinfällig machen würde, da diese Zeit so niemals eintreten kann. Gelingt es ihm nicht, die Parteibasis wieder zum Souverän der MSZP zu erheben, die heute von einer Gruppe abgelebter Politzombies an der Entwicklung gehindert wird, sollte er die Konsequenzen ziehen und den Aufstand wagen - oder gehen. Denn er und seine "Installateure" haben immer noch nicht so richtig verstanden, dass die Wahlniederlage 2010 vor allem mit ihnen zu tun hatte und kein Unfall der Geschichte war. Der MSZP fehlt noch immer der politische Generationenwechsel, jede realistische Einsicht und Reflexion über ihre Rolle gestern und heute. Nur mit Trotz und Dagegensein gewinnt man selbst in Ungarn keine Wahlen mehr.

red. / ms. / cssz.

 

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